photos by Cristiana Cott Negoescu

Cristiana Cott Negoescu: Restraint Relief
Weiden Space
17. Februar – 17. März 2024

Soundarbeit in Kollaboration mit
Antonia Alessia Virginia Beeskow

In der Ausstellung Restraint Relief der Künstlerin Cristiana Cott Negoescus begeben sich die BesucherInnen auf eine Reise ins Ungewisse. Im Ausstellungsraum schränkt dichter Nebel die Sicht ein. Die Objekte sind nur dann zu erkennen, wenn man direkt vor ihnen steht. Doch ein großes, schwarzes Nebelhorn tritt aus dem Nebel hervor. Auf dem Boden liegend, lässt der Trichter in seinen roten Schlund blicken. Nebelhörner geben laute Warnsignale ab, um Schiffe bei schlechter Sicht untereinander und vor Gefahren zu warnen, um sie sicher durch Nebelfelder zu führen. Im Weiden Space werden die BesucherInnen von den Klängen einer Soundinstallation durch die Ausstellung geleitet. Auf diese Weise verwandelt die Künstlerin den Ausstellungsraum in eine metaphorische Gefahrenzone zwischen Land und Meer.

Eine Reise durch den Nebel

Der Ausstellungsraum ist voller Nebel. Keine räumlichen Grenzen in Sicht, dehnt sich der Raum scheinbar endlos aus. Der Gang durch die Ausstellung wird zu einem vorsichtigen Erkunden. Das Nebelhorn trotzt den sich auflösenden Strukturen des Raumes. Sein Inneres ist kräftig rot und als einziges Objekt, auch aus der Ferne zu erkennen. Das Horn ist zentraler Bezugspunkt der Ausstellung, und bildet durch seine konzentrische Struktur einen Kontrast zum formlosen Umfeld. Der Aufbau des Trichters ist auf acht kleinen Aluminiumplatten dargestellt. Diese hängen an der Wand und zeigen die Konstruktion des Nebelhorns in Form von eingravierten Puzzleteilen. Eine Platte fehlt jedoch.

Im Nebel, der die Sicht verschleiert, schärft sich der Hörsinn. Aus dem Nebelhorn ertönen dröhnende Geräusche, die vor unsichtbaren Gefahren warnen und eine Atmosphäre von Ehrfurcht und Unsicherheit erzeugen. Die in Kooperation mit Antonia Alessia Virginia Beeskow entstandene Soundarbeit, führt die desorientierten BesucherInnen durch den Ausstellungsraum. Neben dem tiefen Dröhnen des Nebelhorns dringen weitere Geräusche aus dem langgezogenen Raum. Die tonal erzeugte Performanz des Raumes lässt die BesucherInnen in Richtung des metaphorischen Ufers wandern, das bereits zu hören ist: Wellen rauschen, Zikaden zirpen und Erde raschelt. Immer wieder ist das monoton pulsierende Piepen eines Radars oder das mechanische Geräusch eines ladenden Nebelhorns zu hören.

Land und Meer

Die Dichotomie von Land und Meer findet ausgehend von der Erfahrung seinen Weg in die Philosophie als Sinnbild des Aufbruchs und den damit verbundenen Ungewissheiten. Friedrich Nietzsche verwendet die Symbolik von Land und Meer, um unterschiedliche Aspekte der menschlichen Existenz und des Strebens nach Wissen darzustellen. Das Land steht dabei für Sicherheit und Stabilität. Es symbolisiert die etablierten Normen und Werte, die dem menschlichen Leben Halt geben. Im Gegensatz dazu repräsentiert das Meer die unbekannten, chaotischen und unvorhersehbaren Elemente des Lebens. Es steht für Freiheit, aber auch für Gefahr und die Herausforderungen, die mit dem Verlassen bekannter Territorien einhergehen.

Im Grenzgebiet von Land und Meer prallen diese zwei gegensätzlichen Welten aufeinander. Das Schiff nähert sich dem scheinbar sicheren Ufer, doch die Andersartigkeit der beiden Welten birgt Gefahren: Schiffe können auf Grund laufen und kentern. Die hohen Temperaturunterschiede zwischen Land und Wasser begünstigen die Entstehung von Nebel. Plötzlich wird das Land zur Gefahr.

Im metaphorischen Übergangsbereich zwischen zwei Welten trifft der Besucher auf die Quelle des Nebels. In diesem Teil des Ausstellungsraums ist es besonders schwierig, mit dem Auge etwas zu erkennen. Das letzte Puzzlestück befindet sich auf der Verkleidung der Nebelmaschine. Wenn die Maschine jedoch in Betrieb ist, verhindert der entweichende Nebel, dass die Details der Verkleidung genauer betrachtet werden können. Das Puzzle bleibt somit ungelöst und die abgebildete Struktur unvollständig.

Sicherheit(swesten)

Die Erfahrung auf hoher See unterscheidet sich grundlegend von der an Land. Den Naturgewalten ausgeliefert, schwindet die Illusion menschlicher Kontrolle. Der Kapitän navigiert durch die Wellen, wissend, dass das Meer den Menschen jederzeit überwältigen kann. Passagiere tragen Rettungswesten, die im Ernstfall keine absolute Sicherheit bieten.            
Rettungswesten sind, vor allem im Kontext der jüngsten Flüchtlingsereignisse, Symbole für riskante Meeresüberquerungen und die damit verbundene Sehnsucht nach Sicherheit. Von der Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben, wagen Menschen die Überquerung des Mittelmeers auf seeuntüchtigen Schlauchbooten und riskieren dabei ihr Leben. Trotz der Rettungswesten kommen Tausende ums Leben.

Cristiana Cott zeigt unterschiedliche Darstellungen von Rettungswesten. Zwei Westen aus Wachs hängen an einer Wand; eine davon wird auf einem Blech erhitzt. Wachs zeichnet sich durch seine transformierenden Eigenschaften aus. Obwohl wandelbar in seiner Form, bleibt die Substanz unverändert. Mit dem Dahinschmelzen der Weste schwindet auch das Gefühl von Sicherheit. Ähnlich kann sich im Verlauf einer Seereise das mit dem Tragen einer Rettungsweste verbundene Gefühl der Sicherheit in Beklemmung und Angst verwandeln.  
Fehlende Sicherheit und die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit prägen das Bewusstsein nachhaltig. Hat man einmal festen Boden unter den Füßen verloren, gibt es kein Zurück mehr. Selbst an Land beginnt der Boden zu schwanken. Eine 3D-gescannte, blaue Rettungsweste fungiert als Sinnbild für diese traumatischen Erfahrungen. Sie ist mit Wassertropfen digital ergänzt, als eine lebendige Erinnerung an etwas Vergangenes. Cristiana Cott beschreibt ‚Trauma‘ als ein zirkuläres Unterfangen. Eine Form, die sich immer wieder in der Ausstellung finden lässt. Endlos um den Kern kreisend, lässt sich Cott zufolge auch ein Trauma, wie auch das Puzzle, nicht lösen.

Land „in Sicht“!

Die BesucherInnen nähern sich nun dem Ufer. Ein brummendes Geräusch lockt die sie in ein Hinterzimmer, wo sich der Nebel lichtet. Im Halbdunkel findet sich eine unauffällige Installation: Eine mit Erde bedeckte Plattform vibriert in regelmäßigen Abständen. Anders als der Rest der Soundinstallation wird dieses Brummen nicht durch Lautsprecher, sondern mechanisch durch Vibration erzeugt. Die Besucher sind eingeladen, die Plattform zu betreten. Die Vibration durchdringt den gesamten Körper und lässt den Boden fremdartig erscheinen, sodass die ersehnte Sicherheit an Land ausbleibt.